Gouache nach Otto Marcus

Eigentlich ist es als Illustrator eine Pflicht, sich – neben Aufträgen und der üblichen Arbeit her – immer weiterzubilden. Es gibt immer etwas zu lernen: neue Programme, neue Social Media-Funktionen, neue Gesetze und ihre Konsequenzen für die Arbeit. Oder eben ganz direkt dem Arbeitsfeld verwandte Dinge – wie neue Wege, zu illustrieren.

Leider komme ich viel zu selten dazu. Aber in dem Fall, den ich hier beschreiben möchte, hat es mich einfach so sehr gereizt, ein Bild zu studieren, dass ich es in wochenlanger Arbeit neben den Aufträgen und anderen Dingen her getan habe. Nicht immer zur vollen Zufriedenheit – denn wer unterbricht schon gerne länger die Arbeit an etwas, das ihm Spaß macht, weil er gerade wieder keine Zeit dafür hat – aber letztendlich trotzdem mit großem Vergnügen. Und ich denke, ich habe etwas gelernt.

Aber nun zum Punkt: Vor längerer Zeit entdeckte ich eine Illustration in einem Katalog eines alten Warenhauses aus Berlin, dem Warenhaus Nathan Israel. Es war eines der ältesten und prächtigsten in Berlin, wurde, wie alle Warenhäuser, die in jüdischem Besitz waren, von den Nazis enteignet und im Zweiten Weltkrieg völlig zerstört. Wie viele Warenhäuser der Zeit gab auch Nathan Israel ein „Album“ heraus, eine Art Werbemittel: eine Sammlung im damaligen Alltag hilfreicher Dinge wie Kalenderblätter, Rezepte, Hinweise auf wichtige Termine und Theater-Aufführungen durchs Jahr. Illustriert war dieses Album mit Werbeanzeigen für das Warenhaus selbst und großformatigen Illustrationen.

Im Album von 1904 befand sich die Vorlage zu dieser Illustration hier, die ich mir vorgenommen hatte, zu kopieren. Sie stammt von Otto Marcus, einem jüdischen Illustrator, der zeitweise in Berlin lebte. Mir stach sie sofort ins Auge, zum einen, weil darauf die U-Bahn-Station Zoologischer Garten ins Bild eingearbeitet ist, eine wundervolle schmiedeeiserne Konstruktion von Alfred Grenander. Zum anderen, weil die Szene einfach wunderbar komponiert ist: Das morgendliche Licht… das emsige Treiben auf dem Kudamm… Menschen, die unterschiedliche Dinge tun und offensichtlich zu unterschiedlichen Aktivitäten auf dem Wege sind.

Ich fand das für eine Illustration aus der Zeit unheimlich liebevoll gemacht und klug durchdacht. Daher nahm ich mir vor, das Bild auf eigene Faust zu kopieren. Auch in Vorbereitung für ein eigenes Projekt, das in Berlin um 1904 spielt (doch dazu später mehr :).

Nun konnte ich nur vermuten, wie Marcus vorgegangen war: Illustratoren zu dieser Zeit malten ihre Illustrationen meist in einer Mischung aus Gouache, Tusche und Aquarell, eventuell noch unter Zuhilfenahme von ein paar Farbstiften. Und sie taten es schnell.

Für mich selbst war es die Gelegenheit, mich weiter in die Zeit, in der meine Geschichte spielen soll, hineinzuarbeiten, einen nostalgischen Blick auf Berlin zu werfen und mich im Umgang mit Gouache – ein Mittel, das ich sehr mag – weiterzubilden.

Im folgenden möchte ich meine Arbeitsweise an dem Bild aufzeigen, wobei ich das Endergebnis hier im Post als erstes Bild schon mal zeige und der Prozess sich darunter anschließt, bis er wieder beim Ergebnis ankommt. Als unterstes Bild schließt sich ein Blick auf die Vorlage von Marcus an.

Zunächst fertigte ich also (auf einem für Acryl und andere wasserverdünnbare Farben geeigneten Block mit festgeleimten Blättern von Guardi Artistico) eine Vorzeichnung an, ausgehend von Marcus‘ Komposition. Dabei habe ich sie etwas verändert, weil ich auf dem Block einfach mehr Platz hatte als Marcus für das Album-Format. Daher zieht sich bei mir der Hintergrund etwas mehr in die Breite, die Figuren haben mehr Abstand. Insgesamt würde es bei mir „leerer“, vielleicht frühmorgendlicher wirken als auf Marcus‘ Vorlage, das wusste ich da schon. Aber das störte mich nicht. Sicherlich war in Berlin am Kudamm auch damals schon reges Treiben, aber eventuell gab es ja mal auch etwas weniger Trubel… zumal ich aufgrund der nicht ganz eindeutigen Qualität meiner Vorlage die gemeinte Tageszeit nicht ganz zweifelsfrei verifizieren konnte. Außerdem mag ich ‘negative spaces‘ in Bildern, also so bewusste freie Stellen in einer Komposition.

Im zweiten Schritt fügte ich – wie man es klassisch macht – erste Grundierungen im Hintergrund ein. Erste Grundtöne, die später unter allem liegen und die grundsätzliche Lichtstimmung vorgeben würden. Hierfür habe ich Aquarell verwendet.

Im zweiten kamen dann viele Dinge hinzu: Figuren, erste Details, Strukturen, erste Modulierungen. Ja, vom vorherigen Schritt bis zu diesem verging einige Zeit, und ein Scan zwischendurch hätte sich vielleicht gelohnt, um den Prozess noch mal zu verdeutlichen. Zu meiner Rechtfertigung sei gesagt, dass es halt aufwändig ist, den Workflow für die Dokumentation ständig zu unterbrechen, und dies war eine kritische Phase am Bild, wo man sich Zeit nehmen konnte und musste, um ein paar Dinge mal grundsätzlich auszuarbeiten. Dafür woltle ich mich für einen Scan zwischendurch nicht ablenken lassen.

Im nächsten, dritten Schritt führte ich einige Details weiter aus, im Hintergrund vor allem und im Vordergrund. Das Licht-Schatten-Gefüge wurde auch weiter ausgearbeitet.

Im vierten Schritt fügte ich die Beschriftungen auf dem U-Bahn-Eingang ein und arbeitete weiter am Hintergrund rechts.

Und im fünften arbeitete ich noch einige Dinge im Hintergrund aus, vornehmlich Figuren und die Häuser rechts. Dann war das Bild für mein Gefühl fertig.

Worauf ich bisher verzichtet habe, ist, die ganze Oberleitungen einzufügen, die sich über die Straße spannten (vergleiche mit Marcus‘ Vorlage). Irgendwie mochte ich das Bild so, ohne diese Linien – vielleicht hole ich es trotzdem zu einem späteren Zeitpunkt noch nach.

Insgesamt habe ich etwas über Licht gelernt, denke ich, und über die Benutzung von Gouache – und ich wie ich sie anwenden will. Ich strebe damit meistens einen malerischen Effekt an, der auch Modellierung zulässt – bei einer Farbe, die wasserlöslich ist, auch nach Trocknung, nicht immer einfach, denn beim Übermalen einer bereits aufgetragenen Farbschicht Gouache mit einem anderen Ton, um mit diesem zusammen die darunter liegende Schicht zu modellieren, löst sich letztere eben auch gerne an. Man muss lernen, wie feucht die darüberliegende Schicht sein darf – die neu aufgetragene Farbe -, damit sich die darunterliegende nicht komplett anlöst. Und: Das richtige Mischungsverhhältnis zu lernen, ist ein längerer Prozess: also ab wann ein Gouache-Ton, vermischt mit einem anderen, zu genau dem Ton austrocknet, den man erzielen will. Gouache wird meiner Erfahrung nach dunkler mit der Trocknung. Um den Farbton zu erzielen, den es beim Auftragen hat, muss man genau diesen Ton schon vorher beim Anmischen aufhellen. Keine leichte Aufgabe, und ich musste sie hierbei mehrfach anwenden, weil in allem dieses gleißende Morgenlicht liegen sollte.

Ich habe Farben von Daler Rowney und von Schmincke benutzt, wobei ich mit Schmincke mal wieder etwas mehr zufrieden war – aber Daler Rowney war auch sehr gut.

Im Hintergrund ist übrigens die Silhouette der alten Kaiser Wilhelm-Gedächtniskirche zu sehen!