Portrait einer Häuserzeile aus dem Historismus

Viele Leser*innen meiner Bücher oder Menschen, die mich und meine Arbeit kennen, wissen, dass ich ein absoluter Architekturnerd bin. Ich liebe Architektur, und mich fasziniert auch sehr der Formenreichtum der Architektur um 1900, der Zeit des Historismus und des Jugendstils.

Seit einiger Zeit schwebt in meiner Heimatstadt über einer Häuserzeile aus dieser Epoche das Damoklesschwert – heißt, ihr Abriss ist geplant. Sie steht in einem Sanierungsgebiet, und der Ort, an dem gerade diese Gebäude stehen, ist über die Jahre unwiderruflich zu einer schlechten Lage geworden.

Ich habe mich dazu entschlossen, diese Zeile vor ihrem endgültigen Verschwinden nochmal zu portraitieren. Ja, ich bezeichne das als “Portrait” – denn diese Häuser hatten Fassaden, die uns etwas erzählen sollen, wie das Gesicht eines Menschen am Ende eines langen Lebens.

Dabei habe ich mich zunächst den Häusern in Einzelansicht gewidmet (die unteren vier Bilder). Jede Persönlichkeit verdient schließlich einen Close Up, nicht? Und sie danach digital aneinandergestellt, so, wie sie in meiner Heimatstadt gestanden haben und noch teilweise stehen, bevor bald alle abgerissen sein werden.

Hier ist die Zeile nun zu sehen.

Es handelt sich um eine typische, eher hochwertige Häuserzeile aus dem Historismus, mit teilweise eklektizistischen Fassaden (das heißt, dass der Stuck an den Häusern Motive aus Stilen unterschiedlicher Epochen miteinander vermischt). Ich glaube, Eklektizismus ist auch gerade wieder in der Innendekoration Trend (habe ich zumindest gehört).

Ganz links außen ein Haus, das leichte Barock- mit Renaissance-Formen vermischt, daneben eines (das kleine mit dem Giebel), das im Prinzip dasselbe tut, aber bei der Grundform viel deutlicher als sein Nachbar das Barocke betont (ich finde immer noch, es wirkt wie ein kleines „Lustschlösschen“). Bei genauerem Hinsehen sind viele der Zierelemente dann wieder der Renaissance entlehnt, aber anderer Zierrat, wie zum Beispiel große Kartuschen, haben wiederum eine Hang zum Barock. Rechts neben diesem – das dritte von links – ein neogotisches Haus. Das einzige aus dieser Reihe, das ein reines Wohnhaus darstellt, denn es hat im Erdgeschoss kein Ladenlokal. Und ganz rechts außen – dieses Haus hatte ich schon mal vor längerer Zeit portraitiert – ein Haus in einer Mischung aus niederländischer Backstein-Renaissance mit barocken Einflüssen (zum Beispiel der Erker). Es ist eindeutig das aufwändigste der Reihe und diente bestimmt als Prachtexemplar oder Schaustück – vielleicht sogar von der Baufirma selbst, die eventuell mit der Planung und Ausführung der ganzen Zeile betraut war (kam um 1900 häufiger vor – was bedeutet, die gesamte Abwicklung der Zeile hier war sorgsam, auch in ihrer stilistischen Mischung der Häuser nebeneinander, geplant). An diesem Haus in der Reihe hätte sie gut zeigen können, zu welchen Höchstleistungen sie praktisch in der Lage war. Werbung ist alles!

Die drei linken Häuser stehen noch, das „Prunkstück“ rechts ist dem Baggerzahn schon zum Opfer gefallen. Ursprünglich standen auch neben ihm noch zwei Altbauten – sehr viel einfacher, als diese hier in der Ausführung, aber dennoch schön. Vielleicht hole ich deren „Portrait“ nochmal nach. Und „baue“ hier noch an.

Alle oben beschriebenen Häuser könnt ihr in chronologischer Reihenfolge ihrer Beschreibung auch nochmal unter dem ersten Bild von oben nach unten aufgelistet sehen.

Mit diesem Ausflug in die „alten Zeiten“ verabschiede ich mich ins Wochenende. Erholt euch gut!